Gefahrguteinsatz in Ratzeburg

Stundenlanger Einsatz für Retter bei Landhandel

Ratzeburg

Als gegen 15:30 Uhr die Pieper der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg auslösten, konnten die Helfer kaum ahnen, dass der Einsatz mehr als 120 Feuerwehrleute über 9 Stunden binden würde. Einsätze bei dem weithin sichtbaren Landhandel in der Bahnhofsallee sind den KameradInnen der Feuerwehr durchaus vertraut und auch die Meldung Gefahrguteinsatz Standard im Alarmtext kam in der Vergangenheit schon mal vor. Nicht verwunderlich zumal das Unternehmen naturgemäß auch mit, unter die Gefahrgutklassen fallenden, Mitteln handelt.

Von der Leitstelle Süd wurde nach einem Notruf aus der Firma auch der Löschzug Gefahrgut des Kreisfeuerwehrverbandes sowie Rettungsdienst und der Leitende Notarzt in die Kreisstadt entsandt. Bekannt war zu diesem Zeitpunkt nur, dass in einem Lagergebäude ein Behältnis mit Salpetersäure leckgeschlagen war. Salpetersäure wird unter anderem für die Herstellung von Düngemitteln genutzt.

Nach dem Eintreffen der ersten Einsatzkräfte, konnte zumindest für den Rettungsdienst eine beruhigende Feststellung getroffen werden. Alle Mitarbeitenden, die sich während des Unfalls in der betroffenen Halle befunden hatten, konnten sich selbstständig ins Freie begeben. Lediglich ein Staplerfahrer wurde vom Rettungsdienst in Augenschein genommen, konnte aber im Anschluss unverletzt wieder entlassen werden.

Nachdem sich die ersten Einsatzkräfte des Löschzug Gefahrgut mit Sauerstoff und Chemieschutzanzügen ausgestattet hatten, rückte ein Trupp zur Erkundung in die Halle vor. Dem Auftrag, das Behältnis bei Gelegenheit wieder aufzustellen und eventuell zu verschließen, konnte der Trupp allerdings nicht nachkommen. Im Rahmen der Erkundung mussten sie feststellen, dass sich etwa 1000 Liter 38%ige Salpetersäure über den Hallenboden verteilt hatten, wie Einsatzleiter Sven Martens in einem ersten Statement zu verstehen gab. Unter Zuhilfenahme von Chemiebindemitteln legten mehrere Trupps unter Vollschutz einen Ring um die in der Zwischenzeit auf 15 x 12 Meter angewachsene große Lache. Im Anschluss wurde eine Spezialfirma zu Rate gezogen um das weitere Vorgehen abzustimmen. „Für uns war es wichtig zu wissen, ob die Firma die Salpetersäure in gebundenem Zustand oder flüssig entsorgen würde“, erklärt Martens das Vorgehen. Nach etwa 2 Stunden war klar, dass die gesamte Lache mit Bindemitteln überschüttet und im Anschluss „mühsam per Handarbeit“ in eine von der Fachfirma zur Verfügung gestellte Mulde geschafft werden sollte, wie der Einsatzleiter weiter erläuterte.

Mühsam per Hand bedeutete für die Helfer zuerst einmal unzählige Säcke Bindemittel in die Halle zu schaffen und dort einzeln über der ausgelaufenen Flüssigkeit zu verteilen. Etliche Zentimeter hoch war das Bindemittel in der Halle durch die Tür zu sehen. Anschließend mussten zahlreiche Helfer mit Schaufeln den gebundenen Stoff in Transportbehälter schaufeln um diesen anschließend in die vorgesehene Mulde zu verfrachten. Der riesige Bedarf an Bindemittel rief am späten Abend auch die Berufsfeuerwehr Hamburg auf den Plan. Mit einem Hilfeersuchen hat sich der Kreis an die Nachbarn gewandt und diese halfen gerne aus. Mit einem Wechsellader brachten zwei Berufsfeuerwehrmänner mit Sonderrechten tonnenweise Bindemittel nach Ratzeburg.

Ausserdem mussten unzählige, nassgewordene Palletten aus der Halle geschafft werden. Diese wurden vor der Halle gestapelt und mit einer Folie gesichert.

Der durch den Einsatzaufwand entstandene Bedarf an Manpower wurde am Abend durch die Freiwillige Feuerwehr Geestacht unterstützt. Mit insgesamt 5 vollbesetzten Fahrzeugen eilten sie ihren Kameraden der Ratzeburger Feuerwehr sowie den Einsatzkräften des LZG zur Hilfe. Schon am Nachmittag waren diese in brütender Hitze immer wieder in ihren orangefarbenen Chemieschutzanzügen und voller Atemschutzmontur in das Gebäude vorgedrungen um eine Ausbreitung der Kontamination zu verhindern.

Am Ausgang des Firmengeländes wurde eine Dekontaminationsstation aufgebaut. Jede Einsatzkraft wurde dort in Wanne und einer Dusche von den Restbeständen des Gefahrguts befreit. Im Laufe des Einsatzes sammelten sich unzählige Schutzanzüge, welche nach dem Entkleiden umgehend in einer Schutztüte verstaut und verschlossen wurde.

Am Ende sollten insgesamt 120 Einsatzkräfte der Feuerwehr vor Ort gewesen sein. Aufgrund des schwindenden Tageslichts ließ Einsatzleiter Mertens das örtliche THW zur Unterstützung alarmieren. Diese beeilten sich, mit ihrem Lichtmasten so schnell wie möglich vor Ort zu sein. Nach dem Eintreffen dauerte es nur wenige Minuten bis der zugeordnete Bereich hellauf ausgeleuchtet war.

Um bei der Hitze die Versorgung der Einsatzkräfte zu gewährleisten, ließ der Einsatzleiter auch das DLRG an die Einsatzstelle rufen. „Es war wichtig dafür Sorge zu tragen, dass die Einsatzkräfte sich bei dem Kräfte raubenden Einsatz stärken konnten. Dafür kam das DLRG mit einer warmen Mahlzeit, einem Eis zum Nachtisch und vor allem vielen Getränken! Trinken, trinken, trinken, ist bei dem Wetter das erste Gebot!“

Aufstellung bezogen die Helfer der DLRG auf dem Gelände der ehemaligen Tankstelle. In unmittelbarer Nähe des ebenfalls dort ansässigen Fast-Food-Restaurant brachten die Damen und Herren einen Grill und Fritteusen mit , um mit Bratwurst und Pommes den verdienten Helfern eine standesgemäße Mahlzeit bieten zu können. Dankbar füllten sich immer wieder in Etappen die mitgebrachten Tischgarnituren. Reissenden Absatz fanden im Übrigen das Wassereis. Was bei Kindern hochbegehrt ist, ist offenbar bei Einsatzkräften der Feuerwehr DAS! Mittel der Wahl um in einem kräftezehrenden heißen Einsatz ein wenig Abkühlung zu finden.

Gegen 00:30 Uhr konnte der Einsatz nach 9 Stunden für die insgesamt etwa 150 Einsatzkräfte aller Hilfsorganisationen beendet werden und der Einsatzort der Firma übergeben werden. Am Mittwoch prüft eine Spezialfirma inwieweit die Gefahr für die Mitarbeiter gebannt ist und ob in der Halle wieder gearbeitet werden kann. Die Restbestände der ausgelaufenen Säure bzw. des Bindemittelgemischs werden von der Firma ebenso wie die kontaminierten Palletten entsorgt.

Die Bahnhofsallee war auf der Seite des Landhandels während der gesamten Einsatzzeit voll gesperrt.

 

Video: youtu.be/mKnalpKciA4